Ilka Vogler ist von Anfang an ihre eigenen Wege gegangen und folgt keiner der den Markt und die Medien beherrschenden Kunstrichtung. Sie ist im Gegensatz zu den meisten Stars des heutigen Kunstbetriebs eine erklärte Romantikerin, die sich intensiv mit der Natur, mit fremden, vor allem orientalischen Kulturen und der Literatur auseinandersetzt. Buchstaben, Schriftzeichen, Worte, Sätze oder Zitate berühmter Literaten und Philosophen sind fester Bestandteil von vielen ihrer Arbeiten und Installationen. Sie verbindet Bild- und Wortkunst und begreift das geschriebene Wort zugleich als sinnbildliches Zeichen. Die Malerei öffnet sich zum Graffito und Kalligrafie. Sie malt und schreibt in einem und macht so die Wand zur Tafel.
Aufsehen erregte sie zuerst 1996 mit einer Installation im Lübecker Burgkloster, in der sie ihre eigenen Erfahrungen am Rande des Todes mit dem Leiden der Menschen verbunden hat, die dort früher inhaftiert waren. In einer engen Zelle hat Ilka Vogler den Fußboden mit schwarzen Lackfolienstreifen ausgelegt, auf denen abwechselnd in weißen Buchstaben die Worte „Leben“ und ‚Tod“ geschrieben stehen. Tod und Leben verfließen miteinander und sind, wenn man versucht, die Worte vom Zellenboden aufzulesen, nicht mehr zu unterscheiden. Dazu ertönt vom Band die Stimme Paul Celans, der seine ‚Todesfuge“ vorträgt. Die Künstlerin hat das Gedicht ähnlich wie auf den Thorarollen in den Synagogen auf weiße Papierrollen übertragen und in einer Raumecke bedeutungsvoll arrangiert.
Mit derartigen schriftbildlichen Darstellungsformen fand Ilka Vogler rasch Beachtung. 1997 erhielt sie den Auftrag, das historisch älteste Hamburger Arbeitsamt, das jetzt Teil des Museums der Arbeit in Barmbek ist, künstlerisch zu gestalten. Ihre Verfahren war ebenso einfach wie einprägsam. Sie beschrieb die leeren weißen Wände mit 14 Begriffspaaren, die die Gedanken eines Arbeitssuchenden umkreisen: „meine Arbeit – keine Arbeit“, „meine Hoffnung – keine Hoffnung“ oder „mein Geld – kein Geld“. In roten, blauen und schwarzen Schriftzeichen bedecken die Worte den engen Raum vom Boden bis hinauf zur Decke. Im gleichen Jahr fand sie mit ihren „remem-ber“-Aktionen auch internationale Beachtung. Bei der Eröffnung der Galerie der Gegenwart in Hamburg, während der „documenta“ in Kassel und auf Biennale in Venedig bot sie den Besuchern ein „Original zum Mitnehmen“ an: farbige, auf die Umgebung abgestimmte Schriftbilder aus Plastikfolie. Ilka Vogler hat dieses widerstandfähige und zugleich federleichte Material als eine der ersten für die bildende Kunst entdeckt und verwendet es in abgewandelter Form bis heute.
Wenn es um die Verbindung von Buchstabe und bildlicher Darstellung geht, scheint Ilka Voglers künstlerische Phantasie keine Grenzen zu kennen. Im Treppenhaus des renommierten, denkmalgeschützten Hamburger üteratur-hauses inszenierte sie mit viel Erfolg ihren „Besuch von Satre“. Mithilfe von 400 Scherenschnitten aus einem verfremdeten Photo des Dichters lässt sie den Existentialisten die Treppen erklimmen. Satres Seitenansicht wird in den Augen des Betrachters immer kleiner und verwandelt sich schließlich selbst in eine Karawane wandelnder Buchstaben. Leider sind solche Installationen nicht auf Dauer gedacht und können nach ihrem Abschluß nur noch mit den Mitteln der Fotografie dokumentiert werden. Dennoch vermittelt der kürzlich im Verlag Dötting und Galitz in Hamburg erschienene Kunstband „Remem-ber. Textinstallationen. Plastikbilder. Photo cut outs“ von Ilka Vogler einen anschaulichen Eindruck von der Arbeitsweise der Künstlerin und dokumentiert ihre wichtigsten Installationen. Zu diesem Buch hat die Kunstkritikerin Susanne Wagner ein kenntnisreiches Nachwort geschrieben. Als Höhepunkt ihres bisherigen Schaffens darf die Ausstellung „Zugfahrt mit Leguan“ gelten, die im Winter 2006/7 in der Hamburger Galerie Lohmann stattgefunden hat. Dazu ist in der Sammlung Ulla und Heinz Lohmann ein schmaler, aber prächtiger Katalog mit einer ebenso behutsamen und wie einfühlsamen Einführung von Marita to Berens-Jurk erschienen. Ilka Voglers Zugreise in Begleitung eines Leguans versammelt eine überaus färben- und lebensfrohe, von Vitalität überströmende Folge von Lackfolienbildern, die an persönliche Kindheitserinnerungen anknüpfen. Ihr Vater besaß ein großes Terrarium, in dem er Leguane, Basilisken und Gürteltiere aus Lateinamerika hielt. Der runde Panzer eines Kugelgürteltieres, das in ihrem Elternhaus gelebt hat, hat heute seinen festen Platz auf dem Schreibtisch im Atelier der Künstlerin. Der Leguan zeigt Ilka Voglers enge Verbundenheit mit der Tier- und Pflanzenwelt. Er sitzt ihr oder ihrer Tochter, die sie oft auf ihren Reisen begleitet hat, im Zugabteil am Fenster gegenüber und schau sehnsüchtig nach draußen in das Grün-Blau des Himmels, der vom Malgrund der Lackfolie geprägt ist. Tier und Mensch scheinen sich zu mögen und sich gegenseitig zu verstehen. Diese Verbundenheit kehrt auch in anderen Interieur-Malereien leitmotivisch wieder. Die Reptilien werden dabei von kleinen poetischen Texten und Geschichten ergänzt. Wieder verfließen Bild und Schrift ineinander. Die Häute und Panzer der Echsen scheinen von Schriftzeichen überzogen. Die Smaragdeidechse gleicht einem Schriftzug, der belebt ist und sich, wie von einem Schreibstift angestachelt, schlängelnd nach vorn bewegt.
Im Schaffen von Ilka Vogler ergänzen sich Schrift und Bild. Sie geht davon aus, dass ein Bild mehr als tausend Worte sagen kann, aber sie kennt auch die umgekehrte Botschaft: ein einziges Wort kann mehr aussagen als tausend Bilder. Dementsprechend kehren in ihren Schrift-Bildern verschiedene Varianten wieder. Sie setzt wahlweise Bild über Schrift, Bild unter Schrift und Bild in Schrift. Sie malt in einem ihrer Terrarienbilder verschiedene Reptilien und versieht sie mit ihren wissenschaftlichen Namen. Auf diese Weise werden die eingesperrten Tiere nicht nur als Subjekte dargestellt, sondern zugleich als Objekte der menschlichen Neugierde und der Herrschaft über die Natur markiert. Sie stellt hohe schneebedeckte Berggipfel dar und schreibt mitten in die Naturszenierie herein „Aus hohen Bergen“, um zu dokumentieren, dass die Berge nicht für sich stehen, sondern eine Kulisse bilden, die vor allem in der künstlerischen Phantasie existiert.
Die „Zugfahrt mit Leguan“ weist auf eine weitere wichtige Komponente im Werk der Künstlerin hin, das Motiv des Reisens. Sie ist gern unterwegs und kehrt immer wieder an Orte zurück, die für sie in besonderer Weise inspirierend sind, Orte, an denen Natur und Kultur im Einklang miteinander stehen. Dazu gehören die Berglandschaften des oberen Engadin mit Sils-Maria, dem entlegenen Ort, der durch die Aufenthalte von Nietzsche und Rilke berühmt geworden ist. Ilka Vogler hat eine Vorliebe für monumentale Gebirgs-massive und landschaftliche Kontraste. Dabei kann sie die Lackfolie als Malgrund in besonderer Weise zur Geltung bringen. In ihrem Bild vom Silser See benutzt die unbemalten glänzenden Flächen sowohl für das Blau des klaren Himmels als auch für das Blau des Sees, in dem sich der Himmel spiegelt. Über das Mediums des Wassers öffnet sich die Erde zum Himmel, der Himmel kommt der Erde entgegen.
Die äußere Welt der Erscheinungen und die innere Welt der Künstlerin begegnen sich. Sils-Maria, Kreta, Paris, Venedig, Vietnam und immer Ägypten sind ihre Sehnsuchsorte, zu denen sie immer wieder zurückkehrt. Dabei geht es ihr nicht um touristische Highlights, sondern um Sinnbilder und Gleichnisse für eigene Empfindungen. In jüngster Zeit hat sich verstärkt dem Orient zugewandt und sich mit der arabischen Kalligrafie auseinandergesetzt. Dem persischen Dichter der Liebe, Hafis, hat sie ein Bild gewidmet, in dem sich Blütenranken, orientalische Ornamente und arabische Schriftzeichen wie auf einem Teppich ineinander verschlingen. Ähnlich verfährt sie in ihrer Komposition „Arabisches Interieur“. Gerade und gewundene Linien durchdringen einander und lassen einen westlichen Diwan entstehen, der sinnbildlich für die Versöhnung der Kulturen von Orient und Okzident steht. Ein oft wieder kehrendes Motiv ist der Garten, der Garten als Ort, an dem sich Natur und Kultur die Hände reichen, an dem sich aber auch die verschiedenen Kulturen und Religionen begegnen. Ilka Vogler malt den Tiergarten in Berlin, den Park von Dessau-Wörlitz mit dem Vasenhaus im chinesischen Stil, den Pariser Jardin de Tuileries und den chinesischen Tempelgarten am Zürichsee, der den schönen Namen trägt „Drei Freunde im Winter“. Mit der gleichen Hingabe gestaltet sie einzelne farbenprächtige Blumen wie den Rittersporn, Calla, Orchidee und mehrmals die Lotusfrucht. Der Lotus wird dabei zum reinen Zeichen, ein Symbol für die Verschmelzung von irdischer und himmlischer Schönheit.
PETER SCHÜTT